“Στο κατάμεστο από κόσμο φουαγιέ του θεάτρου Gostnerhof Theater, Έλληνες και Γερμανοί φίλοι της ποίησης, παρακολούθησαν το Σάββατο 16 Φλεβάρη με κατάνυξη την ωριαία εκδήλωση για τον Έλληνα ποιητή Τάσο Λειβαδίτη, που διοργανώθηκε από το Griechischer Kunstclub Nürnberg e.G..
Καθηλωτική υπήρξε,τόσο η απαγγελία της Αναστασίας Γκίτση στα ελληνικά, όσο και του Χρήστου Κολοτούρου στα γερμανικά. Ένα μαγευτικό ταξίδι υπό τους ηλεκτρονικούς απόηχους του Ηλία Χατζόγλου και τη μελωδία της κιθάρας του Κωνσταντίνου Μαύρου.
Η ταιριαστή εναλλαγή των ποιημάτων από τη μία στην άλλη γλώσσα προσέδωσε στην πορεία της βραδιάς έναν εσωτερικό ρυθμό που εμβάθυνε ακόμη περισσότερο στη συγκίνηση που προκαλεί η ποίηση του Τάσου Λειβαδίτη.
Zwischen den Sprachen – über die Sprache hinaus
Ein Abendtreffen mit Tasos Livaditis
Ich verstehe kein Griechisch. Ich kenne Tasos Livaditis nicht.
Aber ich bin an diesem Samstagabend im Gostner Hoftheater, weil ich Anastasia Gkitsi kenne, eine Dichterin und Künstlerin, mit der ich mich sehr gerne austausche.
Ich bin ahnungslos, was griechische Lyrik, ja, was griechische Literatur überhaupt angeht, aber ich bin neugierig. Eine zweisprachige Lesung ist angekündigt: Anastasia wird die Gedichte auf Griechisch vortragen, Christos Kolotouros auf Deutsch. Mir ist klar: Ich werde – wenn überhaupt – nur die Hälfte verstehen. Eine paradoxe Situation… Aber auch der Titel der Lesung bietet ein Paradoxon: „Blind mit der Öllampe“. Trotz Licht werden wir nicht sehen, trotz Sprache nicht verstehen? Zumindest letztes Paradoxon löst sich im Laufe des Abends auf.
Erst einmal geht das Licht aus in der Theaterkneipe Loft, in die warme Dunkelheit sickern Bässe elektronischer Musik und Fragmente eines Klavierspiels. In die Töne mischen sich Stimmen vom Band: eine Frau, ein Kind, ein Mann – verschiedene Stimmen aus den Gedichten von Livaditis, nehme ich an. Als ich am nächsten Tag in einer Übersetzung nachlese, fühle ich mich bestätigt, das Kind etwa passt zu den Erinnerungen in „Der erste Vers“.
Livaditis ist 1988 gestorben, die Musik aus einer Zeit nach der seinen holt ihn in die Gegenwart. Die Soundcollage von Ilias Chadjoglou holt auch die Aufmerksamkeit des Publikums, es wird schlagartig still; eben noch war es warm und gesellig, nun ziehen Kälte und Distanz, Entfremdung und Einsamkeit ein. Und genau so kommen wir direkt bei Livaditis an: Ich lerne ihn in seinen Gedichten als Einsamen unter den Menschen kennen, als Beziehungslosen und Verzweifelten.
„Es regnet im Armenviertel, es regnet auch in meinem Herzen.
Ach Welt, ungerechte Lügnerin, du machst mir Kummer,
du bist eng und hast keinen Raum für meine Seufzer.
Meine Tage wiegen schwer wie die Regentropfen.“
Zweimal an diesem Abend wird Konstantinos Mavros diese Klage zu den Akkorden seiner Gitarre anstimmen, zweimal summt ein Teil des Publikums wehmütig mit. Und auch mir prägt sich diese Klage ein, obwohl ich die Worte nur auf Griechisch höre. Hat uns die Soundcollage von Chadjoglou die Traurigkeit und Einsamkeit des dunklen Herzens von Livaditis spüren lassen, bringt Mavros mit Gitarre und Gesang (und weiteren Liedern mit Texten von Livaditis) alle wieder auf traditionellem Weg zusammen – wenn sich alle einsam fühlen, hat man ja schon etwas gemeinsam.
Aber zurück zum Anfang: Anastasia Gkitsi zieht ein in die Dunkelheit, sie bringt uns, eine Öllampe vor sich hertragend, dürftiges Licht. Langsam schreitet sie zur Bühne, wo ihr Lesepartner Christos Kolotouros auf sie wartet. Ihr Einzug hat etwas Rituelles, Weihevolles – ich frage mich kurz, ob eine Art Liturgie beginnt, zumal beide auf der Bühne den Wein teilen.
Aber nein, der göttliche Funke bleibt aus. Das Setting entpuppt sich nicht als sakraler Raum sondern als profane Kneipensituation, in der ganz menschliche Angelegenheiten verhandelt werden – Liebe, Sehnsucht, Enttäuschung, Scham, Verlust, besonders aber die Vergänglichkeit:
„Ich erinnere mich noch daran,
wie ich ein Kind war und meinen ersten Vers schrieb.
Seitdem weiß ich, dass ich nie sterben werde,
sondern dass ich jeden Tag sterbe.“
„Erbarme dich, Herr, du hast den Dichtern Unrecht getan,
indem du ihnen nur eine Welt gabst.
Und wenn ich sterbe, möchte ich
unter den Blättern meines Tagebuchs beerdigt werden,
um die Tage mit mir zu nehmen.
Und was vielleicht übrig bleibt von uns,
ist ein kleines Vergissmeinnicht
am Rand des Weges.“
Ich frage mich, ob Vergissmeinnicht im Griechischen ebenfalls dieses kleine blaue Blümchen meint, das man in romantischer Gefühlswallung an den oder die Liebste weitergibt, in der Hoffnung, nicht vergessen zu werden?
„Und wenn ich sterbe, möchte ich
unter den Blättern meines Tagebuchs beerdigt werden,
um die Tage mit mir zu nehmen.“
Eigentlich möchte das lyrische Ich doch gar keine Erinnerung hinterlassen, es möchte völlig aus dieser Welt verschwinden, möchte sogar seine Tage mitnehmen – ganz egoistisch und auf sich bedacht, keinen Gedanken an ein Gegenüber verschwendend.
Einsamer nie …
Auf der Bühne hingegen gibt es ein Gegenüber, gibt es Zweisamkeit. Ein Dialog auf Griechisch und Deutsch entspinnt sich, wobei Anastasia Gkitsi und Christos Kolotouros zwar den Wein, sicher aber nicht alle Ansichten teilen; zumindest lässt mich das der Tonfall, die Ironie, der Sarkasmus in seiner Stimme vermuten. Ihre Stimme hingegen bleibt sanft, liebevoll, manchmal leicht spöttisch, immer verständnisvoll warm. Er insistiert, zweifelt, verzweifelt. Sie fängt ihn auf, vermute ich – wie anfangs erwähnt: Ich verstehe kein Griechisch.
„Was machten wir in unserem Leben? Wer sind wir? Warum bist du nicht ich?“
Eine fordernde, anregende Situation: Er spricht meine Sprache, was Wortschatz und Grammatik angeht; sie hingegen spricht meine Sprache, was das Gefühl betrifft.
„Deshalb sage ich, ihr sollt einem weinenden Menschen immer glauben.
Denn das ist der Moment, in dem euch seine große und gefesselte Hand verrät,
was nie gesagt werden wird.“
Livaditis, der Dichter, hat kein Vertrauen in die Sprache, das nicht Gesagte, nicht Benannte spielt eine große Rolle:
„Die schönsten Gedichte werden niemals geschrieben…“
Sprechen, aber nicht verstanden werden, Gefühle empfinden, für die sich keine Wort finden lassen, Gefühle, die einen isolieren, weil man sie niemandem mitteilen kann – das sind Themen, die sich durch den ganzen Abend ziehen, ebenso wie dieser eine Satz, vielmals wiederholt von Christos Kolotouros auf Deutsch und Anastasia Gkitsi auf Griechisch:
„Die Welt existiert nur, wenn man sie mit anderen teilt.“
Ein Vers von Livaditis, der Drohung und Verheißung zugleich bedeutet, Verzweiflung und Trost. Ich befürchte, für den Dichter überwog die Verzweiflung: Wenn man seine Welt nicht mit anderen teilen kann, existiert sie nicht, existiert man selbst nicht.
Ich aber nehme den Trost mit nach Hause: Die Welt existiert, wenn ich sie mit anderen teile. Wir teilen an diesem Abend unsere Zeit, unsere Geselligkeit, unsere Stimmung, manche teilen ihren Gesang, wir teilen die Worte von Tasos Livaditis.
Ich teile gern.
Michaela Queck. Μ.Α
Photo: Nansy Sarakinou